“Wir waren schon heiße Typen” – 30.03.2014
Transkription und Bearbeitung – Katrin Schielke
Der Berliner Schlagzeuger Tom Holm, geboren 1926, brachte sich das Trommeln auf Stühlen bei.
Mit Jazz begann er in den Vierzigerjahren. Wie seine Band nach dem Krieg einfach so in einen amerikanischen Jazzclub beordert wurde – Widerrede nicht erlaubt! –, und welches Idol eines Tages auf seinem Schlagzeug spielte, erzählte er dem Berliner Jazzmusiker Jörg Miegel 2011 während der Veranstaltung „Berlin jazzt – Jazz in und aus Berlin 1945 – 1970“ in Berlin. Ein Jahr später starb Tom Holm.
Jörg Miegel: Tom, Du bist ein wichtiger Zeitzeuge für das Jazz-Berlin nach dem Krieg.
Wie war das damals?
Tom Holm: Ich bin einer von den alten Jazzern, die gleich nach dem Krieg angefangen haben und ich hatte das große Glück, gleich zu Anfang in einem amerikanischen Club zu spielen. Ich war sofort Kapellmeister, nicht weil ich musikalisch so unglaublich gut war, sondern weil ich einer der Wenigen war in dem Laden, die einigermaßen Englisch konnten. Ich verhandelte also mit den Clubsergeants und dann war natürlich unser großes Glück: Wir kriegten eine Gage, pro Abend und pro Musiker eine Packung Zigaretten. Diese Packung Zigaretten kostete zu damaliger Zeit, also 1946, 120 Mark! Und meine Miete war 107 Mark, da kann man sich ungefähr vorstellen, was für ein reicher Typ ich war. Mit diesen Zigaretten konnte ich meine ganze Familie ernähren, und konnte auch noch richtig schieben, alle schoben ja: Kaffee, Schokolade, Seife. Ich spielte dann eine ganze Weile in diesen Clubs und als das vorbei war, hatte ich das große Glück, in der Band zu spielen, die ich in den Kriegsjahren bewundert habe, bei Kurt Widmann, genannt „Kutte“.
Jörg Miegel: Der Dich unter anderem auch zum Jazz gebracht hat?
Tom Holm: Ja, Widmann war damals, 1943, im „Imperator“. Das war ein Laden in der Friedrichstraße, wo wir jungen Schüler alle hin rasten, um Jazz zu hören. Die Band bestand zum großen Teil aus holländischen Musikern, denn die deutschen Musiker waren ja alle eingezogen. Die spielten schöne Swing-Musik, alles mit deutschen Titeln, da kam dann auch immer irgendeiner von der Reichsmusikkammer vorbei und kontrollierte, ob es nicht amerikanische Hot- oder Jazzmusik sei. Die spielten dann natürlich „Fang den Tiger“ anstatt „Tiger Rag“.
Da fing ich an mich für diese Musik zu interessieren, fummelte zuhause auf Stühlen rum, ein Schlagzeug hatte ich zu der Zeit nicht. Versuchte mich ein bisschen anzulernen. Das klappte sehr gut, denn als die Amis ankamen, da konnte ich schon was. Mit einem der Musiker meiner Band, Franz von Klenck fing ich an, Musik zu machen in einer kleinen Bar in Wilmersdorf. Wir spielten da; wir waren schon heiße Typen. Was rüberkam, war mehr unser Engagement für Musik, als vielleicht unbedingt gute Musik .
Eines Nachmittags kam ein Amerikaner in den Laden, und sagte „You are our band“. Ich sagte: “Geht leider nicht, wir sind hier engagiert.“ Sagte der: “No, tomorrow you will play in our club, we will come with a truck and carry your instruments in our club and you play there”.
Jörg Miegel: Das war ein Befehl?
Tom Holm: Ja, das war mehr oder weniger ein Befehl und wir waren natürlich fürchterlich in der Klemme, denn der Chef sagte, das kommt ja nicht in Frage, ihr habt einen Vertrag, und ich darauf: „Du, das können wir nicht, das sind Soldaten, die erschießen uns…!“ Also jedenfalls kam am nächsten Tag der Truck, lud die Instrumente ein und dann wurden wir in die Ahornstraße in Steglitz gefahren. Wir nannten uns die „Lazy bones“, die faulen Knochen, und wir spielten so, dass die Amerikaner begeistert waren. Von dieser Zeit an gingen wir unter meiner Leitung von einem Club zum anderen, immer wieder mit großem Erfolg. Das ging so bis Ende 46, Anfang 47. Dann hörte das auf, diese Band löste sich auf.
Jörg Miegel: Wie ging es dann weiter?
Tom Holm: Ich spielte dann in verschiedenen Truppen, bei Kurt Widmann, Walter Dobschinski, Oman Lampater, und wie sie alle hießen. Dann kam der Moment, wo Heinz Niemeyer, der Trommler von Rediske, ins Rias-Tanzorchester ging. Er rief mich an und fragte „Tom, ich muss zum Rias, willst du mit?“ Die engagierten mich einfach so, inzwischen hatte ich einen ganz guten Namen als Trommler, und ich kam natürlich am ersten Tag pünktlich um acht Uhr in die „Wanne“, wo wir auftraten.
Dieses Jazzlokal war zu damaliger Zeit weltbekannt, die amerikanischen Musiker kamen nach Berlin, und jeder fragte, ob Chet Baker oder Leute von den Bigbands: “Where is the Badewanne?” Und die wussten auch alle, in der Nürnberger Straße ist die Badewanne. Wir hatten zum Beispiel eine Vorstellung, da war Count Basie hier, da kam das halbe Basie-Orchester, setzte sich auf die Tanzfläche und fing an zu jazzen, das war unglaublich. Und dann hatte ich die große Ehre, mein Idol auf meinem Schlagzeug spielen zu sehen, nämlich Gene Krupa.
Der war zu damaliger Zeit für mich der absolute Trommler, ein Amerikaner, der 1939 schon mit Benny Goodman gespielt hatte, und der saß dann an meinem Schlagzeug, am liebsten hätte ich überhaupt gar nicht mehr gespielt anschließend, oder den Staub abgewischt, so beeindruckt war ich.
Jörg Miegel: Und dann spieltest Du mit der Rediske-Band?
Tom Holm: Johannes Rediske, um jetzt auf die Band zu kommen, war eigentlich ein Quartett. Die spielten damals, wie wir alle jungen Musiker, in Clubs, unter anderem in der „Badewanne“. Nun hatten die Ende der Fünfzigerjahre keinen Trommler. Vorher hatte Jo Glaser mit Rediske gespielt, schon während des Krieges. Danach kamen einige andere, und 1959/60 spielte ich in der Wanne bei Rediske. Wir haben da auch Fernseh-Shows gemacht, das war es eine ganz tolle Zeit.
Aber es war auch sehr anstrengend, in jeder Hinsicht. Was da zusammen gesoffen wurde ? unglaublich. Jedenfalls hatte ich in dieser Zeit sehr, sehr viel Freude an der Musik. Leider sind alle meine Kollegen, Dobschinski, Widmann, die sind fast schon alle weg. Ich bin ja der älteste Herr hier mit 85. In dieser Zeit wird man ziemlich einsam.
Jörg Miegel: Aber Du spielst ja auch mit jüngeren Musikern.
Tom Holm: Gott sei Dank ja, ich hab mich immer an den jüngeren Typen festgehalten, um dranzubleiben, hab zum Beispiel mit Michael Brandt gespielt, dem Sohn von Helmut Brandt, mit dem hab ich ja auch damals gespielt. Und mit dir, Jörg ja auch.
Jörg Miegel: Du hast auch als Studiomusiker gearbeitet.
Tom Holm: Ja, 1960 habe ich dann begonnen mit der Studiomusik. Ich konnte dann immer von einem Studio zum anderen wandern, mit einer Rhythmusgruppe, Schallplattenaufnahmen machen, oder auch im SFB oder Rias spielen. Das war natürlich sehr angenehm, mal aus dem Nachtleben raus, ich hatte ja auch Familie. Ich habe ein sehr, sehr angenehmes Musikerleben gehabt und habe für mich den richtigen Beruf gehabt. Ich habe gearbeitet, später auch noch in der Musikschule Steglitz als Schlagzeuglehrer, habe noch bis ich 72 war getrommelt, jetzt macht das mein Sohn.
Jörg Miegel: Welche waren die wichtigsten Jazzmusiker für dich so kurz nach dem Krieg, bis 1949?
Tom Holm: Die Big-Bands, Benny Goodman, Count Basie, Duke Ellington, später Chet Baker. Die waren für mich tragend dafür, wir haben diese großen Vidisk-Platten, die Vinylplatten, die haben wir in der Band gehört, abgeschrieben um überhaupt in diese Art reinzukommen.
Jörg Miegel: Ihr hattet ja auch tolle Instrumente – wie seid ihr an die rangekommen?
Tom Holm: In einem dieser Clubs spielte die Army-Band, das war in der Gardeschützenweg-Kaserne, und da spielte ich auch mit meiner Band. Da spielte auch Mackie Kasper, ein sehr guter Trompeter, der später beim Rias war. In diesem Keller waren das Repertoire und die Instrumente der Army-Band und eines Tages sagte der Club-Sergeant, dass die ArmyBand aufhöre und weggehe. Da bin ich natürlich sofort hingerannt und hab gefragt „Sag mal, können wir nicht mal im Keller gucken“, und der Sergeant sagte: „Ja, ist ok, Tom“. Und innerhalb einer halben Stunde standen uralte Klamotten da unten und wir kamen nach oben mit den schönsten Instrumenten. Also die Trompeter und die Posaunisten waren glücklich und ich selbst hatte das große Glück, eine sliggerlanddrums zu bekommen, das war dann mein Schlagzeug. Wir haben natürlich den Sergeant gefragt, ob wir das machen dürfen, der hat gesagt: „Ok die Band ist weg, das könnt ihr nehmen.“ Also hatten wir die besten Instrumente, und ich dieses Schlagzeug, das spielte übrigens Lee Cooper auch, das war so ein bisschen blau-bunt. Wenn ich dann draußen Auftritte hatte, mit meiner Band oder mit anderen Bands, dann stand in der Pause immer einer da um zu gucken, ob das nicht geklaut wird, denn das war damals so eine Rarität so ein Instrument zu besitzen, das war wie Gold. Ich hatte als einziger Trommler damals ein sliiger, was unglaublich war und mich natürlich animierte täglich zu ackern.
Jörg Miegel: Wie viel hast du geübt damals?
Tom Holm: Ich wohnte in der Drakestraße und habe morgens und nachmittags jeweils drei Stunden im Keller geackert und geübt, und es hat mir einen unheimlichen Spaß gemacht wie gesagt ich war mit meiner ganzen Seele Musiker, mehr kann man dazu nicht sagen.
Jörg Miegel: Eine Sache war ja noch wichtig. Ihr habt ja immer in diesen Clubs von der Army gespielt, das war ja ein Privileg. Und ihr wurdet ja nicht nur mit Instrumenten versorgt, sondern auch mit Essen, was in der damaligen Zeit ja unheimlich wichtig war. Ihr durftet ja nichts mitnehmen, erzähl mal, wie ihr das rausgeschmuggelt habt.
Tom Holm: In diesem einen Club, da spielten wir, und 1946, da hatte ja jeder Hunger. Entweder sind sie nach Potsdam gegangen oder irgendwo was tauschen.Ich hatte nun das große Glück, bei den Amerikanern zu spielen und da kam ich auf die Idee, Mensch, wir können doch aufgeteilt in den einzelnen Messen – wir waren ja eine Big-Band – Musik machen. Ja, sagte der Sergeant, tolle Idee. Also spielten wir in den dollsten Besetzungen, ich Geige, Schlagzeug, Klarinette – also, es muss fürchterlich geklungen haben. Aber es ging ja nur ums Fressen, tschuldigung, ums Essen.
Wir spielten also zum Beispiel in der Offiziersmesse und der Offizier sagte – die kannten uns ja alle aus den Clubs – „Wenn die Offiziere weg sind, könnt ihr hier essen, kriegt ihr die Reste.“ Die Reste waren aber so piccobello, wir haben unglaublich reingehauen. Es war natürlich verboten, Essen rauszubringen, trotzdem haben wir immer was eingepackt, immer ein paar Buletten, und dann – es war im Hospital unter den Eichen— haben wir das auf die Mauer gelegt, sind vorne raus, die haben gefragt: Essen?, wir immer gesagt, nee, wir haben nichts, und sind dann rum zur Mauer, das Essen geholt. Zzwei Tage, drei Tage später muss das irgendein Zivilist, so ein fucking German, gesehen haben, jedes Mal wenn wir zu unserem Essen auf der Mauer wollten, war es weg, das war fürchterlich.
Jörg Miegel: Und dann Plan B also…
Tom Holm: Ich hatte damals einen Pianisten, Uli Gnaub, ein netter, netter Typ, der war schwer verwundet, hatte ein Holzbein und da kamen wir auf die unglaubliche Idee, sagten: „Uli, schnall doch mal dein Holzbein ab.“ Er schnallte das Holzbein ab, da kamen alle die kleinen Reste rein, ist vielleicht unästhetisch, aber war so, er also wieder ran das Bein, wir alle vorne raus, wieder die Frage „habt ihr was?“, wir wieder „ no, nothing!“. Dann mussten wir nur um dieses Hospital rumgehen und auf der anderen Seite war der Melody-Club, da spielten wir, u.a. auch Mackie Casper, der nun andauernd Hunger hatte, in der Pause kriegten wir auch ein Bier, da kam dann immer schon der Erste an, meistens Mackie, und sagte: „Uli schnall das Holzbein ab, ich habe Hunger!“.
Ich erzähle, wie es wirklich war, das ist kein Gag von mir. Da haben wir natürlich immer ein bisschen was rausbringen können und dann da gegessen, und abends, von acht bis elf spielten wir ja nur, da saß dann meine Familie, damals mein Vater, meine Tante, Schwester, meine Mutter, an gedecktem Tisch mit Messer und Gabel und guckten mich an und fragten. „Was gibt’s denn heute zu essen?“ Also immer gab’s natürlich nicht was, aber meistens.
Jörg Miegel: Also konntet ihr von deiner Musik ganz gut leben?
Tom Holm: Ich konnte die Verpflegung, die Miete, etc. leichtens damals bestreiten. Dann kam es natürlich auch mal vor, dass ich sagte, zu einem Trompeter, hol du mal die Gage vom Titania-Palast. Dann verschwand der auf einmal. Ich fragte dann: wo ist denn der Arne, dann hörte ich, der hat die Sause gemacht. Als ich den dann wieder sah, fragte ich, „Wo ist denn die Kohle?“ und der sagte „Tut mir leid, die hab ich versoffen“. Der hatte dann überall Lagen ausgegeben, waren ja einige hundert Mark. Aber das tat uns nicht mehr weh, ich bin dann zum Sergeant gegangen, hab gesagt, „Der hat unser Geld, das ist gestohlen worden“. Und der Sergeant sagte: “Kein Problem, hier hast du die Kartons mit Zigaretten, das ist ok, verkauf das.“
Aber die musikalisch schönere Zeit war danach, ich hatte dann noch viele Freunde und Spaß, habe Aufnahmen machen können, für Caterina Valente, Vicki Leandros, die ganzen Schlagerfritzen, eine schöne Sache, all diese Künstler kennen zu lernen, auch Peter Alexander, der war übrigens ein guter Pianist. Ja, also, das war’s.
Jörg Miegel: Tom Holm vielen Dank für das Gespräch.